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Achtsamkeit

Wenn mich jemand vor 25 Jahren gefragt hätte, was Achtsamkeit ist, hätte ich nicht spontan darauf antworten können. Auf keinen Fall wäre mir der Begriff Achtsamkeit irgendwie vertraut gewesen.

Heute ist das anders. Gefühlt begegnet uns der Begriff an jeder Ecke. Es gibt unzählige Angebote zum Thema Achtsamkeit: Kurse, Bücher, Videos, verschiedene Apps,….Achtsamkeit soweit das Auge reicht. Aus dem Gesundheitsbereich und auch aus Erziehung und Bildung ist Achtsamkeit kaum mehr wegzudenken, hat sie doch einiges Positive zu bieten.

Was ist Achtsamkeit?

Achtsamkeit ist die bewusste Lenkung unserer Aufmerksamkeit auf den gegenwärtigen Moment, ohne das Wahrgenommene dabei zu bewerten. So können wir mit Hilfe unserer Sinne wahrnehmen, was uns im Außen in einer bestimmten Situation begegnet. Wir können unsere Aufmerksamkeit auf unseren Körper und seine einzelnen Regionen richten und dabei wahrnehmen, wie unser körperliches Befinden in diesem Moment ist. Genauso können wir unsere Aufmerksamkeit auch auf unser mentales Erleben lenken, also wahrnehmen, was wir gerade denken und fühlen.

Wo kommt Achtsamkeit her?

Auch wenn man vielleicht den Eindruck haben könnte: Achtsamkeit ist keineswegs eine Modeerscheinung oder Erfindung unserer Zeit. Ganz im Gegenteil! Sie ist Jahrtausende alt und kommt ursprünglich aus dem Buddhismus. Das bedeutet aber nicht, dass jemand Buddhist oder in irgendeiner Form spirituell veranlagt sein müsste, um Achtsamkeit praktizieren und davon profitieren zu können. Achtsamkeit in ihrer heutigen Form ist für jeden Menschen zugänglich- völlig unabhängig von dessen religiösem oder kulturellem Hintergrund.

Der Weg der Achtsamkeit in die Öffentlichkeit

Dass Achtsamkeit heute so bekannt ist, ist zu einem großen Teil der Verdienst des amerikanischen Molekularbiologen Jon Kabat-Zinn. Kabat -Zinn der selbst Achtsamkeit praktizierte und damit gute Erfahrungen machte, verknüpfte die Achtsamkeitspraxis mit medizinischem Wissen. Er gründete 1979 an der University of Massachusetts die „Stress Reduction Clinic“. Dort entwickelte er ein achtsamkeitsbasiertes Programm zur Stressbewältigung (Mindfulness-Based- Stress- Reduction, abgekürzt MBSR- zu Deutsch: Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion). An diesem Programm haben inzwischen viele Tausend Menschen mit stressbedingten Erkrankungen, psychosomatischen Beschwerden und chronischen Leiden teilgenommen haben. Heute ist die Achtsamkeitspraxis fester Bestandteil vieler therapeutischer und präventiver Angebote überall auf der Welt.

Warum Achtsamkeit so wichtig ist

Als wir Kinder waren, war es kein Problem für uns, im gegenwärtigen Moment zu sein. Völlig selbstverständlich waren wir dort, wo wir eben gerade waren und ganz bei dem, was wir taten. Auch haben wir nicht alles oder jede(n) sofort bewertet. Im Laufe unseres Lebens jedoch haben wir diesen Zustand mehr und mehr verloren. Wir haben gelernt zu funktionieren. So ist es kein Wunder, dass wir heute vor lauter Anforderungen und Zeit-und Termindruck immer stärker in einer Art Autopilotmodus durchs Leben gehen. Wir spulen unsere Aufgaben mehr oder weniger unbewusst und automatsch ab, ohne wirklich dabei zu sein. Hauptsache es geht schnell und wir schaffen, was dran ist. Während wir das Eine tue, sind wir in Gedanken häufig schon beim Nächsten oder Übernächsten. Ein gutes Beispiel für dieses unbewusste Handeln ist z.B. der Weg zur Arbeit, den man manchmal so unbewusst zurücklegt, dass man sich bei seiner Ankunft am Arbeitsplatz an manchen Tag darüber wundert, das man so plötzlich da ist. Oder man fragt sich, nachdem man das Haus verlassen hat, ob man auch wirklich die Haustür verschlossen und den Herd abgeschaltet hat….

 Dieser Autopilotmodus, also das eher unbewusste, automatisierte Handeln in unserem Alltag, ist nicht generell schwierig. Ganz im Gegenteil: Es ist sinnvoll, dass uns viele Tätigkeiten und Abläufe ganz automatisch von der Hand gehen. Dadurch sparen wir Zeit und Energie.

 Wenn wir uns aber nur noch oder die meiste Zeit so durch unser Leben bewegen kann das weitreichende Folgen haben. Uns unterlaufen Fehler, wenn wir nicht bei der Sache sind. Wir fühlen uns gehetzt und kommen körperlich und gedanklich nicht mehr zur Ruhe. Wir sind nicht mehr im Kontakt zu uns selbst, verlieren aus dem Blick, was wir eigentlich fühlen und was wir brauchen. Wir treffen unüberlegte Entscheidungen mit deren Konsequenzen wir am Ende unglücklich sind.

 

Wie Achtsamkeit wirkt

Nach mehreren Jahrzehnten der Anwendung im therapeutischen und präventiven Bereich gibt es inzwischen viele Forschungsbefunde zur Wirkung von Achtsamkeit. So kann man generell sagen, dass sich eine regelmäßige Achtsamkeitspraxis unter anderem positiv bei Migräne, chronischen Schmerzen, Schlafstörungen und Angstzuständen auswirkt. Auch die Rückfallquote bei Depressionen konnte durch Achtsamkeitsübungen reduziert werden.

 

Im Alltag kann uns eine regelmäßige Achtsamkeitspraxis dabei helfen:

  • häufiger aus dem Gedankenkarussell auszusteigen und einen gesunden Umgang mit unseren Gedanken zu finden:

Oft haben wir das Gefühl, dass unsere Gedanken ein Eigenleben führen. Sie lassen uns nicht zur Ruhe kommen. Wenn sie sich nicht tagsüber schon immer wieder bemerkbar machen, werden sie es spätestens am Abend beim Einschlafen tun, wenn nichts mehr da, das uns ablenken kann.

 Achtsamkeitsübungen wie beispielsweise der Bodyscan oder die Atembeobachtung helfen uns dabei unsere Aufmerksamkeit vom Kopf in die körperliche Wahrnehmung zu lenken. Da unsere Aufmerksamkeit nicht an zwei Orten gleichzeitig sein kann, hilft das körperliche Spüren dabei, Gedankenschleifen zu unterbrechen.

Außerdem lernen wir in der Achtsamkeitspraxis eine gesunde Distanz zu unseren Gedanken herzustellen. Beim Üben von Achtsamkeit geht es nicht darum, die Gedanken abzuschalten. Das wäre unmöglich. Es geht darum, Gedanken wahrzunehmen, ohne näher auf sie einzugehen. Aufkommende Gedanken werden wahrgenommen, evtl. kurz benannt („Ich denke gerade an…“) bevor wir ihn ziehen lassen wie eine Wolke am Himmel. Diese Haltung hilft uns dabei unsere Gedanken, nicht zu wichtig zu nehmen.

  • Stresssymptome früher wahrzunehmen und entsprechend gegenzusteuern:

Wir werden aufmerksamer für die Signale unseres Körpers und unserer Psyche. Wir werden uns bewusster, was unsere persönlichen Stress-Frühwarnsignale sind (etwa Verspannungen im Nackenbereich, Kopfschmerzen, ein Ziehen in der Magengegend, innere Unruhe,…). Durch die regelmäßige Schulung unsere Wahrnehmung bemerken wir Warnsignale deutlicher und früher.

  • zu entschleunigen:

Achtsamkeit nimmt die Geschwindigkeit aus unserem schnelllebigen Alltag und schenkt uns kleine Zeiten des Innehaltens und der Ruhe. Achtsamkeitsübungen sind zwar keine Entspannungsübungen (zur Erinnerung: ihr Ziel ist die bewusste Lenkung unserer Aufmerksamkeit, und das kann erst einmal alles andere als entspannend sein) trotzdem können sie unglaublich entspannend wirken. Durch das Aussteigen aus dem ständigen Funktionieren und das Ankommen bei sich selbst, können wir tiefe Ruhe und Entspannung empfinden.

  • bewusster genießen zu lernen:

Wie oft sind wir gedanklich nicht wirklich an dem Ort, wo wir gerade sind oder bei dem was wir gerade tun. Dadurch verpassen wir ein bisschen unser Leben. Nur wenn wir m Hier und Jetzt präsent sind, können wir Schönes wirklich auskosten.

  • „bessere“ Entscheidungen zu treffen:

Oft treffen wir Entscheidungen oder reagieren in einer Art und Weise, die wir im Nachhinein bereuen. Das liegt daran, dass wir häufig übereilt handeln. Wir reagieren spontan auf das, was uns begegnet, ohne uns die Zeit zu nehmen, darüber nachzudenken, was wir eigentlich möchten oder was in einer bestimmten Situation sinnvoll wäre. Achtsamkeit kann uns dabei helfen, erst einmal innezuhalten und uns bewusst zu machen, ob und wie wir reagieren möchten.

  • uns unserer körperlichen und geistigen Bedürfnisse bewusster zu sein:

Wir sind viel im Außen unterwegs. Wie es anderen Menschen geht und was sie brauchen, wissen wir oft sehr gut. Wie es um unsere eigenen Gefühle und Bedürfnisse steht, haben wir weniger im Blick. Zum einen lernen wir häufig durch unsere Erziehung, dass es wichtiger ist auf andere zu schauen als auf uns selbst. Alles andere gilt als egoistisch. Zum anderen bleibt durch die vielen Anforderungen des Alltags wenig Zeit für uns selbst. Die Achtsamkeitspraxis kann uns dabei helfen, wieder mehr mit uns selbst in Kontakt zu kommen. Wir lernen Gefühle und Bedürfnisse bewusst wahrzunehmen. Diese Wahrnehmung ist die Grundlage für eine gute Selbstfürsorge. Denn nur wenn wir wissen, was wir brauchen, können wir auch dafür sorgen es zu bekommen.

  • Akzeptanz zu lernen:

Wir sind sehr schnell damit Situationen oder Menschen zu bewerten:

Der Urlaub ist verregnet. Das ist schrecklich! Jemand verhält sich anders als wir es erwartet haben. Das ist unverschämt! Wir haben Schmerzen. Das ist unererträglich!

Wenn uns etwas widerfährt, dass wir als sehr negativ bewerten, gehen wir häufig in einen inneren Widerstand. Wir kämpfen gedanklich gegen etwas an, dass nun einmal so ist, wie es eben ist. Dieser innere Kampf zieht nicht nur unangenehme Gefühle nach sich, sondern kostet uns viel Energie. Energie, die uns auf der anderen Seite fehlt, um nach einer guten Lösung zu suchen oder einem konstruktiven Umgang mit der Situation zu finden.

Wenn wir äußere Gegebenheiten, Personen (inklusive uns selbst) körperliche oder mentale Zustände weniger bewerten, kann das unglaublich entlastend sein, weil wir uns die kräftezehrenden inneren Kämpfe ersparen.

Achtsamkeit lernen

Man unterscheidet in der Achtsamkeitspraxis formelle und informelle Übungen. Formelle Übungen erfordern zumindest zu Beginn ein bisschen mehr Zeit und einen ungestörten Ort. Zu ihnen gehören z.B. der sogenannte Bodyscan, die Atembeobachtung und unterschiedlichste Meditationen. Auch Yoga kann man dazuzählen. Um sich möglichst gut auf die Übungen einlassen zu können, ist es von Vorteil, sie zunächst unter Anleitung auszuführen. Es gibt dazu viele gute Kurse vor Ort und Videos und Audios auf Youtube. Später wenn man in diesen Übungen erfahrener ist, lassen sich viele von ihnen auch problemlos in alltägliche Situationen anwenden.

 

Die informellen Achtsamkeitsübungen sind Alltagsroutinetätigkeiten, die wir sowieso jeden Tag ausführen, wie z.B. essen, Zähne putzen, Staub saugen, abwaschen, mit dem Hund Gassi gehen, ….. Hier geht es darum, Dinge, die wir ohnehin erledigen als Achtsamkeits-Gelegenheit zu nutzen. Das, was wir normalerweise eher unbewusst und nebenher erledigen, tun wir nun bewusst und achtsam. Wie geht das? Zunächst einmal ist es eine gute Idee, ein bisschen Geschwindigkeit herauszunehmen; das, was wir gerade tun eine Idee langsamer zu tun als gewöhnlich. Ein wichtiges Hilfsmittel, um im gegenwärtigen Moment und bei dem anzukommen, was wir gerade tun sind unsere Sinne. D.h. wenn wir beispielsweise abwaschen, lenken wir unsere Aufmerksamkeit auf das, was wir sehen, hören, riechen, fühlen. Wir hören in diesem Fall vielleicht die Bewegung des Wassers, riechen den Duft des Spülmittels, spüren die Temperatur des Wassers und die Beschaffenheit der einzelnen zu spülenden Utensilien in unserer Hand. Wenn wir eine Tasse Kaffee oder Tee trinken, können wir uns ebenfalls auf alle Sinnesqualitäten einlassen. Bevor wir das Getränk zu uns nehmen, können wir die Farbe des Getränkes, seinen Duft, die Wärme der Tasse in unserer Hand wahrnehmen. Wir können den Schluck bewusst langsam nehmen. Wir können die Flüssigkeit noch einen Moment im Mund behalten, um den Geschmack in all seinen Nuancen wahrzunehmen, bevor wir sie schließlich bewusst hinunterschlucken. Auf einem Weg können wir ebenfalls all unsere Sinne nutzen, um wahrzunehmen was ist (Was sehen hören, riechen wir? Können wir etwas fühlen?-Temperatur, Feuchtigkeit, Luftzug?). Es ist bei all diesen Tätigkeiten nicht wichtig die komplette Tätigkeit in diesem bewussten und aufmerksamen Modus auszuführen. Auch drei -fünf Minuten zwischendrin helfen schon dabei, aus dem Autopilot auszusteigen. Ebenso wenig ist es nötig, immer alle bzw. so viele Sinne wie möglich in die Übung einzubeziehen. Es ist völlig ok, sich auf einen einzigen Sinneskanal zu beschränken. Also z.B. auf einem Weg einfach nur einmal bewusst wahrzunehmen, was wir hören.

 

Das charmante an den informellen Übungen ist ihre Einfachheit. Wir benötigen keinen ruhigen ungestörten Raum, weil wir sie ja unmittelbar im täglichen Tun umsetzen. Keine dieser Tätigkeiten muss extra geplant werden. Wir nutzen das, was wir ohnehin tun. Natürlich müssen wir uns daran erinnern, die eine oder andere Tätigkeit achtsamer als gewöhnlich auszuführen, also eine bewusste Entscheidung dafür treffen. Sinnvoll ist es, sich vorab zu überlegen, welche Tätigkeit wir nutzen möchten, um Achtsamkeit zu üben. Und sich dabei vielleicht zunächst darauf zu beschränken, etwas langsamer als gewöhnlich vorzugehen und sich in der Wahrnehmung zunächst auf einen Sinneskanal zu beschränken. Je einfacher, desto realistischer ist es, dass wir auch wirklich in die Umsetzung kommen.

 

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